Die Trittbrettfahrer am Finanzmarkt
Banken als Sündenböcke, kollektive Intelligenz als Lösung. Das Wiener Startup wikifolio schickt sich an, die Finanzwelt zu revolutionieren. Gründer Andreas Kern hat sich dafür das deutsche Handelsblatt ins Boot geholt.
73 Prozent der Österreicher machen die Banken für die gegenwärtige Krise verantwortlich – das Vertrauen in unsere Geldinstitute war selten so niedrig. Als sich Andreas Kern im Vorjahr bei seiner Bank nach Anlageformen erkundigte, wurde ihm folgendes Zertifikat angeboten: “Es hätte keine Aktie mehr als 20 Prozent schwanken dürfen, dann hätte ich Rendite bekommen. Ansonsten hätte ich noch fünf Prozent Spesen bezahlt”, erzählt Kern. “Dann habe ich mir das konkret mit historischen Daten angeschaut.Seit 1956 war es nie der Fall, dass dieses Zertifikat Geld abgeworfen hätte.” Eine Anlage ohne Rendite – obwohl Kern seit 17 Jahren Kunde dieser Bank war.
Beta-Einblick: So können die Wikifolios verwaltet werden
Dieses dreiste Angebot war die Geburtsstunde von wikifolio. Die Idee klingt simpel: Man eröffnet ein Verrechnungskonto mit einer Einlage von mindestens 25 Euro, von dort aus kann man der Strategie eines Traders, dem so genannten Wikifolio folgen und direkt über die Website traden. “Ab diesem Zeitpunkt ist man in Realtime dabei und hat genau die gleiche Rendite, wie es dieser Vorbild-Trader realisiert”, erklärt Kern. “Das Geld ist einlagengesichert, bleibt also im sicheren Rahmen unserer deutschen Partnerbank.” Die Trader führen ein Musterdepot auf der Website, gehandelt wird bei einem Broker ihrer Wahl. “Es wird eine Vielzahl an Anreizen für diese Trader geben”, so Kern. “Ich darf dazu aber noch nicht alles verraten.” Die Orientierung, welchem Trader man folgen soll erfolgt über klassische Kennzahlen wie Rendite pro Monat oder Markt, aber auch über die Anzahl der Follower.
Erstes Investment von Handelsblatt als Ritterschlag
Seit November ist die Verlagsgruppe Handelsbatt an dem Projekt beteiligt, für Kerns Idee “eine Art Ritterschlag”. Mit dem deutschen Qualitätsblatt werde es eine enge Kooperation in Punkto Vermarktung geben. “handelsblatt.com wird der erste große Portalpartner”, sagt Kern nicht ohne Stolz. Anfang 2011 hat er Handelsblatt-CEO Michael Stollarz seine Idee erklärt. “Es hat ihn persönlich sehr interessiert, zusätzlich gab es einen hohen Fit zur Zielgruppe vom Handelsblatt”, so Kern. Es folgten mehrere genaue Prüfungen des Konzepts, Brancheninsider und Konsumentenschützer mussten überzeugt werden. Marktforschung wurde in Auftrag gegeben, das Ergebnis überraschte Kern positiv: “Eine Million Österreicher sind spontan sehr interessiert, 430.000 sind sehr sicher daran interessiert. Und 16 Prozent der Leute sind sogar bereit, ihr eigenes Depot offenzulegen”, blickt der Mathematiker positiv in die Zukunft. “Wir gehen also schon auch davon aus, dass in Österreich Zehntausende bereit sind ihr eigenes Wikifolio zu machen.”
Wikifolio-CEO Andreas Kern mit dem StartEurope-Preis
Jobs-Bio für alle Mitarbeiter
Derzeit feilt sein Team von 8 Mitarbeitern intensiv an der Software und der Verknüpfung mit Sozialen Medien oder Finanzportalen. Kerns Ziel ist klar: “Wir wollen ein radikal einfaches Produkt – alle unsere Mitarbeiter haben die Biographie von Steve Jobs gelesen.” Einfach, aber sicher – im Hintergrund rattern schließlich 10.000 Preise pro Sekunde in die Website. Ihre Einkünfte wollen die Betreiber aus einer Erfolgsprämie generieren. “Vom Gewinn wird eine prozentuelle Prämie einbehalten, die sich der Trader und die Plattform teilen”, so Kern. Diese soll sich im Bereich von 10 Prozent bewegen. Fixe Gebühren oder Spesen werde es hingegen keine geben, eine breite Streuung ist ebenso möglich wie eine Konzentration auf verschiedene Bereiche wie z.B.: Clean Tech.
Der ehemalige paybox-Geschäftsführer kann den Start jedenfalls nicht erwarten, vor Weihnachten startete wikifolio mit einer geschlossenen Benutzergruppe, im ersten Quartal 2012 soll es so richtig los gehen.